Kommentar zu TAG24

Link zum Artikel: https://www.tag24.de/nachrichten/politik/deutschland/gesellschaft/kuenftig-weniger-chancen-fuer-jugendliche-mit-geringer-schulbildung-auf-ausbildung-2603105

Als Unternehmer, der bereits seit 20 Jahren Lehrlinge ausbildet, finde ich die Prognose der genannten Experten bezüglich der schlechten Ausbildungschancen für Jugendliche mit geringer Schulbildung ziemlich düster. 

Wenn ich meine Lehrlinge aussuche, werte ich fast nie nach den reinen Schulnoten. Vielleicht blicke ich mal auf die Sportnote, da eine gute Konstitution wichtig für eine unserer angebotenen Ausbildungen ist, oder auf die Kopfnoten um schon mal ein Gefühl für den Charakter der Person zu bekommen, aber rein nach den Noten zu gehen, widerstrebt mir sehr und ist auch nicht die Art, wie ich meine Entscheidungen bezüglich meiner Auszubildenden treffe.

Im Endeffekt ist es doch so: Die Schule ist eine rigide Einrichtung, in der nicht jeder Mensch erfolgreich sein wird oder kann.

Nicht jeder schafft es, den ganzen Tag still zu sitzen und zuzuhören. Nicht jeder schafft, es in allen Schulthemen gut oder sehr gut zu sein, nicht jeder schafft es sich in der zugeteilten Sozialgruppe (seiner Schulklasse) wohl zu fühlen und Freunde zu finden, die den Schulalltag angenehmer machen. Nicht jeder schafft es, mental mit einem Bewertungssystem klarzukommen, das mehr bestraft als belohnt. Nicht jeder schafft es in einem jungen Alter seine Freizeit so zu kalkulieren, das er/sie Hausaufgaben und das lernen für Tests gut organisiert kriegt.

Wenn man sich erst mal die Vielfalt der Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt anschaut und wie dort die verschiedensten Stärken gebraucht werden, merkt man, wie eingleisig die Schule ihr Konzept von „Erfolg“ aufbaut.

Es gibt einen guten Spruch, der das zusammenfasst: „Wenn ein Fisch daran gemessen wird, wie gut er auf einen Baum klettern kann, wird er immer denken, er wäre dumm.“

Häufig erlebe ich es in meinem Arbeitsalltag, das meine gewählten Auszubildenden vielleicht nicht in der Theorie, im Schulleben, brillieren, aber dafür die praktischen Aufgaben umso besser erledigen. Hätte ich Sie nur nach Ihren Noten in Mathe, Deutsch, Englisch usw. ausgesucht, wäre Ihr Potenzial unverwirklicht geblieben.

Und hier denke ich, sind nicht zwangsläufig die Schüler im Zugzwang, sich noch mehr in der Schule anzustrengen, als es alle Schüler vor Ihnen getan haben. Noch mehr Zeit und mentale Energie in ein  System zu stecken, das ihre Eigenheiten vielleicht gar nicht beachtet.

Ich denke, das Unternehmen und Firmen die Ausbildende annehmen, hier diejenigen sind, die in der Verantwortung stehen sich auch Jugendlichen mit schlechteren schulischen Leistungen anzunehmen. Wir sind die Erwachsenen hier. Wir sind die, die der neuen Generation helfen muss auf die Beine zu kommen. Wieso wollen wir Jugendliche, nach demselben Lebenslauf-System bewerten, das wir Erwachsenen zumuten, wenn wir doch aus eigener Erfahrung wissen, das man als Jugendlicher noch so, so viel zu lernen hat.

Was ist mit den Spätzündern? Was ist mit denen, deren Selbstbewusstsein komplett vom Schulsystem zunichte gemacht wurde? Wieso erwarten wir von Ihnen bereits alles perfekt auf die Reihe bekommen zu können, wenn wir wissen, wie viele Jahre es dauert um wirklich zu verstehen wer man ist und wie man sich selbst gut organisiert. Vor einigen Jahren gründete ich zusammen mit der Volksbank die Potenzialakademie/die Talenteschmiede. Der Verein geht in Schulen und macht dort mit den Schülern Tests und Trainings für das Berufsleben um eine bessere Vorbereitung für die Jugendlichen zu schaffen. Um sie zu fördern.

Von den 30-40 Lehrlingen, die ich in meiner Zeit als Unternehmer ausgebildet habe, haben alle Ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen. Das erreicht man, indem man mit den Menschen arbeitet und nicht gegen Sie. Indem man unterstützt und da nachhilft, wo es Hilfe braucht.

Ich habe bereits Firmen erlebt, die auf Schildern groß beschreiben, das Sie Lehrlinge annehmen, aber wenn man Ihnen Bewerbungen weiterreichen will, weil man selber keine Plätze mehr hat, so hört man, das sie derzeitig eigentlich keine Auszubildenden aufnehmen und die Ausschreibung halt einfach immer angezeigt wird.

Wenn wir weiterhin Jugendliche auf die eine oder andere Art hängen lassen, Sie nicht von uns aus fördern und Ihnen Hilfestellungen für den Lebensanfang geben, sondern einfach immer mehr Leistung von Ihnen verlangen. Werden wir nicht nur sehr viel weniger Fachkräfte haben, sondern auch eine junge Generation heranziehen die zurecht traurig und unzufrieden mit den vorherrschenden Ansprüchen und dem System ist.

Ich möchte das nicht, ich will mehr sehen als nur Zahlen auf Papier. Und ich hoffe, das auch andere, über das Zeugnis hinaus auf die Personen dahinter blicken und sich für das Potenzial in Ihnen entscheiden.

Menü